Eine Betrachtung über Markus 16, 1-8:
Der Sabbat, der Feiertag, ist vorüber. Heute beginnt die Woche, heute beginnt wieder die Arbeit – der Ernst des Lebens, wie man so sagt. Es ist frühmorgens, noch dunkel. Noch wird die Dunkelheit nicht vom ersten Schein der Morgensonne durchbrochen. Doch eine ist schon im Dunkeln unterwegs: Maria von Magdala. Ja, den Ernst des Lebens hat sie in den letzten Tagen zu spüren bekommen, wie sie es sich schlimmer nicht hätte vorstellen können. Alles ist ihr genommen worden, alles, was in den letzten Monaten ihrem Leben einen Sinn gegeben hat.
Maria Magdalena denkt mit einem Lächeln an ihre erste Begegnung mit Jesus. Krank war sie gewesen, schwer krank – von sieben Dämonen besessen, sagten die Leute. Ihr Leben hatte keinen Sinn; ihr Leben – konnte sie es überhaupt ein Leben nennen: diese Qual, ein einziges Dahinvegetieren, das Warten darauf, dass es endlich ein Ende hat.
Als dieses Ende dann kam, sah es anders aus, als alle es erwartet hatten: Sie wurde von ihren Qualen nicht durch den Tod erlöst, sondern durch das Wort Jesu, des Sohnes Gottes. Er schenkte ihr erst richtiges Leben, ein Leben, das aus dem Vollen schöpfen konnte; Freude, Liebe, Angenommensein: Gemeinschaft mit dem Herrn und den Menschen, die ihm nachfolgten.
Ja, mit der Begegnung mit Jesus fing ihr Leben erst wirklich an.
Das Lachen auf ihrem Gesicht verschwindet. So kurz nur hat das Leben mit Jesus gedauert. So plötzlich ist nun alles zu Ende, ein Ende, das ihr den Boden unter den Füßen wegzuziehen droht. Mitten im Leben – der Tod. Wie schnell das alles gegangen ist: der Verrat des Judas, die Verhaftung, der Prozess, die Verurteilung. Jesu grausamer Tod am Kreuz.
Wie gut, dass Joseph von Arimathia eine Grabstätte zur Verfügung gestellt hat. So weiß sie wenigstens, wo Jesu Leichnam liegt.
Seit gestern stehen Wachen des Pilatus vor dem Grab. Sie, die Römer, ihre Feinde, halten Totenwache für den Herrn.
Maria holt ihre Freundinnen Salome und Maria, die die Mutter des Jakobus ist, ab. Sie gehen frühmorgens allein zum Friedhof. Zu dieser Uhrzeit ist noch niemand unterwegs. Ihre Schritte sind schwer, sie gehen gebeugt, voller Trauer. Ihr Leben, ihre Liebe, ihr Herr ist tot! Wiederhaben möchte Maria ihn, mit dem sie die Fülle des Lebens erlebt hat! Am Stein rütteln möchte sie, ja, an der Pforte des Todes rütteln, um ihren Herrn wiederzubekommen!
Vergeblich – was kann sie gegen die Macht des Todes ausrichten? Ihr Gang ist schwer, voller Trauer.
Sie geht mit ihren Freundinnen, um wenigstens nach dem Grab zu sehen. Was werden sie dort schon sehen? Einen Stein, der den Eingang des Grabes Jesu verschließt, werden sie sehen – was sonst?! – Und so kommen sie beim Friedhof an.
Verdutzt bleiben die drei Frauen stehen. Sie glauben, ihren Augen nicht richtig trauen zu können: Das Grab … ist offen! Der Stein … weggerollt! Die Wachen … nicht mehr da!
Sie schauen sich fragend an: Welches böse Spiel treibt man da mit ihnen? Ängstlich, aber neugierig – wie kleine Katzen – schleichen sie sich an die Grabstätte heran … schauen hinein … gehen hinein … und was sie dort sehen, treibt sie ins blanke Entsetzen:
Da sitzt auf der Grablegebank ein junger Bursche. Der lächelt sie an, als sei er auf einem Spielplatz! Ein langes weißes Gewand hat er an.
Und als er sie anspricht, hören sie in seiner Stimme – die unendliche Ewigkeit. „Fürchtet euch nicht!“ Fast scheint es, als würden sie ihren Herrn hören: „Fürchtet euch nicht, ich bin‘s.“ – Doch es ist nicht der Herr. Und so bleibt ihre Furcht, fascinosum et tremendum – faszinierend und erschreckend.
Und schon spricht der junge Bursche weiter: „Ich weiß, warum ihr hier seid. Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“
Ja … dämmert es den Frauen, ihr Herr hat davon gesprochen, von der Auferstehung. Dass er drei Tage im Grab sein würde, und dann würde er, wie Jona aus dem großen Fisch, aus dem Grab hervorkommen und auferstehen. Jesus ist nicht hier? – ist er tatsächlich auferstanden? Noch immer stehen die Frauen unschlüssig und ungläubig, völlig verängstigt am Eingang der Grabhöhle.
„Kommt mit“, bittet sie der junge Mann, „und schaut euch den Platz an, wo sie Jesus am Freitag hinlegten.“
Ein kurzer Blick – es stimmt! Das Grab ist leer. Jesus liegt nicht mehr auf der Totenbank. Die drei Frauen schauen sich an. Ihnen ist das alles nicht geheuer. Ohne Worte verständigen sie sich: weg von hier, nur weg!
Und als ob der Bursche es schon gewusst hätte, ruft er ihnen noch zu: „Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass ER vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.“
Jetzt hält die Frauen nichts mehr hier! Kaum aus der Höhle heraus fliehen sie vom Grab. Angst, Zittern und Entsetzen lassen sie schneller laufen, als der Wind sie tragen könnte. Sie laufen nach Jerusalem zurück, bergen sich in den sicheren Stadtmauern, laufen ins Haus – und schweigen.
Hier endet der Osterbericht des Evangelisten Markus.
Drei Frauen, dem alten Rollenbild entsprechend völlig überfordert von einer überraschenden, unwirklichen Situation, kauern verängstigt schweigend im stillen Kämmerlein.
Angst lähmt. Angst ist eines der urmenschlichen Gefühle und gehört zu unserem Leben dazu. Die Angst gehört zu den sog. Basis-Emotionen, sie ist angeboren und universell – also eine Gabe Gottes. Denn ohne Angst wären wir nicht überlebensfähig. Die Angst beschützt uns vor körperlichen und seelischen Verletzungen. – Deshalb ist es gut, dass die Frauen am leeren Grab Angst hatten.
Wären sie leichtgläubig gewesen, hätten sie irgendwelchen Scharlatanen und Lügnern aufsitzen können.
Die Angst hilft uns, Gefahren zu erkennen und darauf zu reagieren. Angst erhöht unsere Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft. Durch die Stresshormone werden Körper und Geist hochkonzentriert und leistungsfähig.
Gott sei Dank hat der Schöpfer es so eingerichtet, dass die Angst nicht nur lähmend ist. Denn sonst würden wir heute nicht als Christenheit Ostern feiern!
Und so wird die Ostergeschichte weiter erzählt – in allen vier Evangelien: Hochkonzentriert und leistungsfähig gehen die Frauen zu den anderen Jüngern und berichten, was sie gesehen und gehört haben:
„Sie lobten Gott und dankten ihm für das, was sie gehört und gesehen hatten. Es war alles so gewesen, wie der Engel es ihnen gesagt hatte.“ So wird über die Hirten in der Weihnachtsgeschichte berichtet. Genauso erging es den Frauen.
Welch ein Wechsel der Emotionen:
Trauer – Verzweiflung – Furcht und Entsetzen – Stille und Konzentration – Mut und Aufbruch – Verkündigung des Unglaublichen, der Auferstehung:
Das Grab der Gräber wurde gesprengt.
Der Stein der Verzweiflung ist weggerollt.
Die neue Welt hat ihren ersten Tag.
Singt vom Sieg aller Siege.
Fegt die Angst aus den Herzen.
Lacht dunklen Mächten ins Gesicht.
Widersteht den Herren von gestern.
Wagt schon heute das Leben von morgen.
Wie gut, dass die Frauen sich nicht auf ihr Rollenbild des ängstlichen Weibchens haben festlegen lassen! Sie ließen nicht locker, auch als die Männer ihnen nicht glauben wollten, was sie erzählten. In verschiedenen Variationen wird in den Evangelien erzählt, wie die Frauen Überzeugungsarbeit geleistet haben.
Und: Es hat gefruchtet! Zwar mussten sich auch die Männer selber ein Bild des Geschehenen machen – doch Jesus hat die Frauen auserwählt, das leere Grab zu finden und mit den guten Mächten und Engeln Gottes zu reden.
Die Frauen haben sich von den Engelsworten berühren lassen. Die Bibel berichtet viele Engelbegegnungen.
Auch im Neuen Testament wird berichtet, wie die Engel von Gott zum Schutz und zur Begleitung des Menschen gesandt sind. Engel sind Boten Gottes, um Menschen zu helfen, Gottes Willen und Führung zu erkennen. So begleiten Engel die Apostel auf ihren Wegen; einmal führt ein Engel die Apostel aus dem Gefängnis heraus. Ein Engel weist Philippus den Weg zum Finanzbeamten aus Äthiopien und gibt Kornelius den Rat, Petrus zu holen. Ein Engel erscheint Paulus auf der Fahrt nach Rom –
und besonders die Osterbotschaft, dass Jesus auferstanden ist und lebt, wird von Engeln begleitet. Gott verfügt über diese Möglichkeiten, gerade da, wo menschliche Kraft begrenzt oder ganz am Ende ist, weiß der Glaube, dass Gott noch andere Möglichkeiten hat, einzugreifen.
„Engel sind Gottes Möglichkeiten – oder verkörpern Gott in seinen Möglichkeiten für uns!“
Gottes Möglichkeiten für die Frauen am Grab eröffneten ihnen ein ganz neues Leben, ein Heraustreten aus Trauer, Verzweiflung und Entsetzen hinein in ein Leben voller Glauben, Zuversicht und Freiheit: „Fegt die Angst aus den Herzen, lacht dunklen Mächten ins Gesicht. Wagt schon heute das Leben von morgen.“
Jesu Auferstehung – Er ist wahrhaftig auferstanden! – ermöglichte es damals … und bis heute … Angst zu überwinden und ein neues Leben zu beginnen. Ein Leben in Frieden, Freiheit, Freude und Fülle! Mit einem offenen Herzen, das überquillt von der Liebe Gottes.
Seine Möglichkeiten für uns sind unbegrenzt. Das hat die Auferstehung ans Licht gebracht. Der unsere Erlösung am Kreuz vollbracht hat, der Tod und Teufel überwunden hat, eröffnet uns alle Möglichkeiten. Wir müssen unser Leben nicht mehr wie ein Zuschauer erfahren, sondern dürfen es in seiner ganzen Intensität genießen. Wir dürfen Mut zum Leben haben, weil der auferstandene Christus bei uns ist alle Tage, bis an das Ende der Welt.
Und deshalb rufe ich euch noch einmal zu:
Der Herr ist auferstanden!
Er ist wahrhaftig auferstanden!