Karfreitag 2022

Freitag, 15. April 2022:

HERR, neige mein Herz zu deinen Zeugnissen und nicht zur Habsucht. Psalm 119,36

Jesus Christus erniedrigte sich und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Philipper 2,8

Wie konnte das passieren? Pontius Pilatus, der Statthalter des römischen Kaisers in Palästina, kannte Jesus doch gar nicht. Wie kam er dazu, ihn zu verurteilen?

Es scheint mir, als sei die Passion Jesu ein großes Zusammenspiel des göttlichen Universums: ein Rad dreht sich in das nächste, ein großes Räderwerk, in dem alles präzise zusammen passen und arbeiten muss, die größeren und großen Zahnräder, die kleineren Trieben – und alles dient der Energieübertragung, die zwischen dem Antrieb und der gewünschten Funktion liegt. Die Funktionen sind z.B. der Gangregler, die Anzeige oder die Schlagwerkauslösung. Alles, was beteiligt ist, hat seine Funktion und wird benötigt. Oftmals gibt es auch eine Übersetzung ins „Schnelle“, d.h. mit weniger Kraft (Drehmoment ist kleiner), wird die Drehzahl größer.

Ist Pontius Pilatus dieser Übersetzer ins Schnelle? Er scheint die Drehzahl zu erhöhen: Aus seinem „ich finde keine Schuld bei ihm“ und den 39 Peitschenhieben, weil Jesus wohl etwas Unruhe gestiftet hat, wird durch das Aufpeitschen des Volkes und ihre „Kreuzige ihn!“-Rufe innerhalb kürzester Zeit das Todesurteil gefällt. Das ist weniger Arbeitsaufwand für Pilatus, muss er sich doch nicht mit dem Volk auseinandersetzen. Dieser Energieaufwand lohnt sich für ihn nicht. Diesen Energieaufwand lohnt dieser Wanderprediger nicht. So kann Pilatus sich bald darauf seine Hände in Unschuld waschen.

Die Zahnräder haben Zähne. Sie werden benötigt, damit ein Rad ins andere greifen kann. Wer hat im Zuge der Passion Jesu Zähne gezeigt? Keiner der Jünger, vielleicht Petrus ein wenig, als er wenigstens mit in den Vorhof des Gerichtspalastes mitging, um die Verhandlung mitzuverfolgen. Doch als er erkannt wurde, verleugnete er. Er hatte keinen Biss. Er war wohl eher ein „Trieb“, ein kleines Zahnrad im Gesamtgetriebe, eines das sich eher versteckte, als sich durch großen Biss hervorzutun, eines, das die verschiedenen Zahnräder mit den großen Zähnen verbindet.

Jedes Uhrwerk besitzt eine Unruh. Ist Judas in diesem Passions-Räderwerk die Unruh? Tatsächlich hat er die Ruhe des Sederabends mit dem Abschluss im Garten Gethsemane gestört, er brachte die Unruhe hinein. Doch Unruhe ist in dieser Nacht auch in Jesus: „Vater, ist es möglich, so lasse diesen Kelch an mir vorübergehen …“

Die Unruh bildet mit der Spiralfeder zusammen das Herz einer Uhr und ist für einen präzisen Gang notwendig. Unruh und Spiralfeder … ohne die Spiralfeder läuft in einem Uhrwerk nichts. Die Spiralfeder ist ein Winzling, federleicht und bringt die Leistung von etwa einem Hundertmillionstel PS. Sie ist quasi ein Nichts, ohne die nichts geht. Judas ist wohl eher eine solche Spiralfeder im Passions-Räderwerk. Er musste Jesus verraten; denn ohne Verrat, Verhaftung, Verurteilung und Kreuzigung wäre unsere Erlösung nicht möglich gewesen. Jesus und Judas: Unruh und Spiralfeder.

Entfernt man die Spiralfeder aus dem tickenden Mikrokosmos eines Räderwerkes, so steht dieses nach einem Wimpernschlag still. Die Unruhspirale wird respektvoll in Uhrmacherkreisen „die Seele klassischer Zeitmesser“ genannt.

Wenn ich zu Beginn gefragt habe: Wie konnte das passieren?, dann ist die Antwort: Weil Gottes großes Erlösungs-Räderwerk nicht stehen bleiben durfte. Deshalb waren und sind alle Protagonisten wichtig: Judas, Petrus, Pilatus – Du und ich.

Deshalb erniedrigte Jesus Christus sich und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz – weil die Passion und sein Tod Teil des großen göttlichen Erlösungswerkes sind.