Jahreslosung 2021

Wenn wir auf die Weisheit unserer Herzen zugreifen …

Was ist das für eine schöne Vorstellung! Jeder Mensch ist sich der Weisheit seines Herzens bewusst und setzt sie in jeder Situation seines Alltags ein.

Im alten Orient, also auch im Alten Testament, beschreibt die „Weisheit“ das Bemühen, die Welt und seine Lebenswirklichkeit zu ordnen, zu erklären, und sich letztendlich in seiner Lebenswelt geborgen zu wissen. Das ist gelingendes Leben; denn es bezieht immer die ganze Schöpfung mit ein und ist somit auf Frieden und Verstehen ausgerichtet.

Und wir heute? Noch nie habe ich erlebt, dass das Denken und der zwischenmenschliche Umgang in unserer Gesellschaft von solch extremer Polarität geprägt sind. Die Vielfalt der Informationen, ob aus den öffentlich-rechtlichen oder alternativen Medien, führen nur zu immer mehr Abspaltung und Trennung.

Gerade in einer solchen Zeit ist es umso wichtiger, auf die Weisheit unseres Herzens zurück zu greifen. Denn das Herz ist das Zentrum des Ganzseins, der Kreativität, der Schöpferkraft – ja vielleicht sogar der Sitz der Seele. Mit Spaltung, Trennung und Polarität kann unser Herz nicht gut umgehen, davon wird es krank. Unser Herz schlägt jenseits dieser negativen Strömungen. Das macht seine Weisheit aus.

Umso wichtiger ist es, das Herz mit dem Gehirn zu verbinden, also eine Herz-Hirn-Kohärenz zu erschaffen. Dann ticken Herz und Hirn im gleichen Takt, und die negativen Gedanken werden vergehen. Denn dann spricht Dein Herz direkt zu Dir, und die Gedanken werden ihm folgen.

Die Bibel kennt zudem die künstlich geschaffene Trennung von Verstand und Gefühl, also von Gehirn und Herz gar nicht. Gott schenkt Salomo, dem sprichwörtlichen jüdischen König der Weisheit, ein weises und einsichtsvolles HERZ (1. Könige 3, 12), zu unterscheiden, was gut und böse ist. Das Herz ist in altem Verständnis also auch der Sitz des Denkens und des Urteilsvermögens. Aus ihm kommen gute, aber auch schlechte Gedanken. Welche Frucht bringst Du aus Deinem Herzen hervor? Die, die verbindet und vermittelt – oder die, die entzweit und trennt?

Dass Denken, Fühlen und Wollen in der Bibel unmittelbar zusammen gehören und nicht zu trennen sind, wird besonders im Gebot der Gottesliebe deutlich. Im Buch Deuteronomium, dem 5. Buch Mose (6, 5-6), lesen wir: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du dir zu Herzen nehmen (= dir bewusst machen, darüber nachdenken, dich daran erinnern).“ Das bedeutet doch, dass Denken, Fühlen und Wollen des Menschen sich in seinem Herzen zusammenbinden. Denn das heute übliche Unterscheiden zwischen Herzensfrömmigkeit und Vernunft-Denken ist im Prinzip geradezu unbiblisch. Das Denken mit dem Herzen sollte uns zur Normalität werden.

Die Jahreslosung 2021 ist eingebettet zwischen Jesu Aufrufen zur Feindesliebe und zum Nicht-über-Andere-Richten. Diese beiden Mahnungen und mehr gehören zur Feldrede, dem lukanischen Pendant der Bergpredigt bei Matthäus.

Was mir besonders gefällt ist, dass Lukas nicht absolut setzt: „Seid barmherzig“, sondern im griechischen Urtext steht: „Werdet barmherzig“. Warum das so gut ist? Der Anspruch, genauso barmherzig wie Gott zu sein, erscheint mir recht hoch gegriffen. Das ist ein Anspruch, dem wir eh nie genügen können; denn wir als fehlbare Menschen können nie so fehlerlos wie Gott sein. Doch die Formulierung des Lukas „werdet“ so, wie Gott es ist, eröffnet uns einen Weg, den wir fröhlich gehen können. Hier ist der Weg das Ziel.

Im Wort „barmherzig“ steckt das Herz: bARM-HERZig – ein Herz für die Armen haben. Ähnlich ist es auch im Griechischen: In einem Dreischritt unterschiedlicher Wörter für unser deutsches „barmherzig“ erfährt die Barmherzigkeit ihre Fülle. Zunächst siehst Du den Armen, in welcher Not er sich auch befindet. Dieses Gefühl trifft Dich bis tief in Deine Eingeweide, so dass Du ihm in einem zweiten Schritt spontan hilfst. Daraus entsteht in einem dritten Schritt eine andauernde barmherzige Hilfsbereitschaft.

Der Evangelist Lukas spricht hier von einem Weg in den zweiten Schritt, indem er genau dieses griechische Wort verwendet: Werde so, dass Du Dich von der Not eines Menschen berühren lässt und ihm ohne zu zögern hilfst.

Der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm formuliert es so: „Für mich ist Barmherzigkeit … ein Programm, ein Auftrag Gottes an uns alle. Sei barmherzig mit Dir, sei barmherzig mit Anderen, Du verlierst nichts dabei. Du gewinnst.“ Barmherzigkeit gelte nicht nur innerkirchlich. Wer barmherzig ist, schließe „verfahrene Situationen auf, der erreicht Herzen und schafft Umdenken bei Festgefahrenem.“

EKD-Jahreslosung 2021 ruft zur Barmherzigkeit auf | RTF.1

Nun liegt es an uns, unser Herz auf Empfang zu stellen; denn unser Herz wird gespeist von der bewussten Hingabe zu Gott: auf ihn hören, uns mit allem, was uns ausmacht, auf Gott und sein Wort einstellen – und dann unser ganzes Leben danach ausrichten: Lieben, wie Gott liebt (auch den Feind); vergeben, wie Gott vergibt; frei sein und frei machen, wie Gott frei ist und frei macht; nicht richten, wie Gott nicht richtet; verbinden und deeskalieren, wie Jesus verbindet und deeskaliert; barmherzig sein, wie Gott barmherzig ist.

Wenn also wir alle auf die Weisheit unserer Herzen zugreifen und wieder eine Kohärenz zu unserm Verstand aufbauen, wie es biblisch und schöpfungsgemäß ist, dann … ja dann überwinden wir die künstlich aufgebauten Trennungen des Jahres 2020, und es wird ein wunderbares, die Welt erneuerndes Jahr 2021 werden!