30. November

„Die Haltung prägt die Handlung“

Y. Lapide schreibt:

„Unerwartet findet Abels Opfer Gunst in Gottes Augen, wohingegen Kains Opfer abgewiesen wird. Fassungslos und glühend erbost sinnt Kain darauf – zuerst verheimlichend, später offenkundig –, seinen für ihn unverständlicherweise begünstigten Bruder zu töten. In dieser für beide Brüder prekären hoch emotionalen Situation wendet sich Gott mit Worten tiefer Weisheit an den gekränkten und tief verletzten Bruder Kain. Gottvater appelliert an das Herz des gekränkten Kain mit zutiefst tröstenden Worten, der Nichtannahme seines Opfers keinesfalls Endgültigkeitscharakter zuzuschreiben, sondern mittels wohlwollender geänderter innerer Haltung seinem Gott ein neues Opfer darzubringen. … Die Haltung prägt die Handlung.“

Die ersten irdisch gezeugten Kinder, Kain und Abel, sind kein leuchtendes Beispiel für Bruderliebe. Kaum scheint einer bevorzugt, wird der Andere so neidisch und eifersüchtig.

Und ich frage mich: Ist es tatsächlich so gewesen, dass Gott einfach einen der zwei Brüder bevorzugt? Dass er Bedingungen für ein wohlgefälliges Opfer hat, diese aber den Brüdern nicht mitteilt? Und so der eine von beiden einfach in die böse Falle tappen muss? Macht Gott so etwas?

Schließlich hat Kain auch von dem, was ihm am Herzen liegt, von seinem Beruf – seiner Berufung! – als Ackerbauer das Beste gegeben.

So einen Gott der Willkür mag ich mir nicht vorstellen. Ich stelle mir vor, dass Kain interpretiert; und zwar genau so, wie wir alle immer und immer wieder die Verhaltensweisen anderer interpretieren und ständig daneben liegen. Schaut einer grimmig, interpretiere ich, er ist sauer auf mich. Vielleicht hat er nur Schmerzen oder ist in negativen Gedanken über sein eigenes Leben. Übersieht mich jemand, so kann auch diese Person ganz in sich selber sein und die Umgebung einfach vergessen. ICH bin NICHT der Nabel der Welt. Also dreht sich auch nicht jede Verhaltensweise, jedes Wort eines anderen Menschen, um mich.

Das hätte ich auch Kain gewünscht, dass er sich gedacht hätte: Nun ja, Feldfrüchte brennen halt nicht so gut, wie es das Tieropfer mit seinem Fett tut. Aber ist ja auch egal. Ich gebe Gott das Beste von dem, was ich habe. Und das ist gut so.

In seine Lieb versenken will ich mich ganz hinab;

mein Herz will ich ihm schenken und alles, was ich hab,

Eia, eia, und alles, was ich hab.

(Ev. Gesangbuch 32, 2)