3. Dezember 2021

„Besser im Frieden getrennt als im Unfrieden zusammen“

Y. Lapide schreibt:

„Schon zu biblischen Zeiten gab es reichlich Streit … Der offene Konflikt zwischen Vater Abraham … und seinem ihm sehr nahestehenden Neffen Lot ist der erste Streitfall in der Heiligen Schrift. Beide Männer sind vermögend – so vermögend an Schafen und Ziegen, dass sie es nicht „vermögen“, das von Gott zugeteilte neue Land in Kanaan friedlich und gut nachbarschaftlich zu besiedeln.

Vater Abraham erkennt den Ernst der unversöhnlichen Lage zwischen ihm und seinem wesentlich jüngeren Verwandten. Unter Überwindung schmerzhafter innerer Loslösungsgefühle beschließt er die Radikallösung. Anstatt unbefriedigende Scheinkompromisse mit Lot zu erzwingen, bietet er ihm eine saubere Trennung unter Einbeziehung ihrer jeweiligen großen Herden an. Eine Trennung ohne gegenseitige Beschimpfung, Beschämung oder Beschönigung der eingetretenen Unmöglichkeit einer friedlichen Koexistenz.

Wie weise der große Stammvater auf den belastenden Konflikt reagiert – frei von unnötigen Schuldzuweisungen und emotionalen Ausbrüchen. Beide Streitparteien trennen sich unter Wahrung ihres besonders im Orient wichtigen Gesichts: Keiner ist überlegen – keiner ist unterlegen.

Wie wichtig eine freundschaftliche Trennung im Dienste des Erhalts einer potenziellen späteren Fortführung der Freundschaft ist, zeigt uns diese abrahamische Konfliktlösung, bei welcher eine klare, die Würde wahrende Trennung mehr Entwicklungspotenzial für beide Konfliktparteien enthält als jeder verbissene Versuch des unfruchtbaren Zusammenbleibens. Abraham präsentiert die „Scheidung“ zwischen ihm und seinem Neffen in der Haltung der Größe und Souveränität. … Eine ehrliche, von Herzen kommende Ent-scheidung kann … voller gegenseitiger Achtung und Ehrung der je unterschiedlichen Weltbilder und Maximen geschehen.

Die Aussicht auf eine neue, in der Zukunft liegende Wiederannäherung ist weder behindert noch beschädigt. Beide Parteien trennen sich erhobenen Hauptes in beidseitiger Übereinstimmung und überlassen es höheren Führungen und Fügungen, ob eine gereifte und versöhnliche Neubegegnung zu einem unbekannten Zeitpunkt sich ereignen darf.“

Ich persönlich danke Yuval Lapide für solch großartige und weise Worte; denn in meiner momentanen Arbeitssituation erlebe ich genau das Gegenteil: Da ich ungeimpft bin, werde ich der fehlenden Solidarität beschimpft und wie ein Todesengel behandelt. Das tut weh, und welche Konsequenzen das haben wird, überlasse ich der höheren Führung Gottes.

Ich lag in schweren Banden, du kommst und machst mich los;

ich stand in Spott und Schanden, du kommst und machst mich groß

und hebst mich hoch zu Ehren und schenkst mir großes Gut,

das sich nicht lässt verzehren, wie irdisch Reichtum tut.

(EG 11,4)