„Regeln dürfen durchbrochen werden“
Genesis, Kapitel 48, Verse 14,17-19
Israel streckte seine Rechte aus und legte sie Efraim auf den Kopf, obwohl er der jüngere war, seine Linke aber legte er Manasse auf den Kopf, wobei er seine Hände überkreuzte, obwohl Manasse der Erstgeborene war.
Als Josef sah, dass sein Vater seine Rechte Efraim auf den Kopf legte, gefiel ihm das nicht. Josef ergriff die Hand seines Vaters, um sie von Efraims Kopf auf den Kopf Manasses hinüberzuziehen, und er sagte zu seinem Vater: Nicht so, mein Vater! Denn er ist der Erstgeborene; leg deine Rechte ihm auf den Kopf! Aber sein Vater weigerte sich und sagte: Ich weiß, mein Sohn, ich weiß, auch er wird zu einem Volk, auch er wird groß sein; aber sein jüngerer Bruder wird größer als er und seine Nachkommen werden zu einer Fülle von Völkern.
Yuval Lapide schreibt dazu:
“Unsere biblische Erzählung versetzt uns an das Ende eines reichen Lebens – eines großen Stammesvaters des jüdischen Volkes – Jakob – Israel genannt…Jakob ist die einzige biblische Gestalt, von der uns im ersten Buch der Bibel berichtet wird, dass sie in einen einzigartigen körperlichen –geistigen Kampf in der Mitte der Nacht mit einem Vertreter Gottes hineingezogen wurde. Ein Kampf, in dessen Verlauf der werdende Stammesvater Jakob (= der Zurückhaltende) sich aus seiner alten ängstlichen und regelkonformen Mentalität emanzipiert, um sich seine neue Identität Israel (=Kämpfer Gottes) zu erringen. Im vorliegenden Text entscheidet sich der große Mann Israel demonstrativ, die klassische Stammesregel zu durchbrechen, derzufolge der älteste Sohn den Primärsegen und der zweitälteste Sohn den Sekundärsegen bekommen müsse. Der weise gealterte Israel entscheidet sich, seiner inneren Stimme zu gehorchen und entgegen der formalen Konvention zu handeln…Die Einhaltung von Regeln und Konventionen im täglichen Leben war zu biblischen Zeiten im Orient ebenso wichtig wie heute… Ihre mutige und klarsichtige Durchbrechung mit dem Ziel, höhere Entwicklungsstufen zu erreichen, muss jedoch mindestens genauso wichtig bleiben – damals wie heute.”
Yuval Lapides Worte berühren mein Herz zutiefst. Brav und angepasst zu sein zählt heute mehr, als die eigene Meinung. Diffamierungen haben Diskussionen ersetzt. Ausgrenzungen und Distanz sind das neue soziale Miteinander. Wie wäre es, wenn wir endlich gemeinsam den Mut aufbrächten, Regeln zu durchbrechen?
Lass dich erleuchten, meine Seele, versäume nicht den Gnadenschein;
der Glanz in dieser kleinen Höhe streckt sich in alle Welt hinein;
er treibet weg der Höllen Macht,
der Sünden und des Kreuzes Nacht.
(EG 40,2)