Mittwoch, 13. April 2022:
Er wird herrlich werden bis an die Enden der Erde. Micha 5,3
Jesus spricht: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Johannes 12,24
Jesus ist in Bethanien, 3 km außerhalb Jerusalems. Simon, der ehemals Aussätzige, hat ihn und seine Anhängerschar zu sich ins Haus geladen. Vor dem Stress am Passahfest sollen sie sich noch einmal ausruhen und so richtig verwöhnen lassen, bevor sie sich in den Trubel stürzen.
Da sitzen sie jetzt, Mittwoch Abend; die Hausangestellten haben ihnen die Füße vom Staube befreit, die Frauen haben das Essen aufgetragen und sich dann zurückgezogen. Sie sitzen jetzt in der Küche, essen dort selber zu Abend und kümmern sich um die Kinder. Die Männer sind unter sich, so wie es halt üblich ist.
Da kommt eine fremde, unbekannte Frau in das Haus hinein, geht geradewegs auf Jesus zu, stellt sich hinter ihn, wie er gerade so zu Tische liegt, und fängt an, sein Haupt zu salben. Wohlgeruch verbreitet sich im Raum, die unterschiedlichsten Gedanken der Männer fangen an zu kursieren: Sie tut etwas Gutes … sich etwas Gutes tun lassen … innerer Frieden … Genuss gegen Moral … alles hat seine Zeit … Wert der Zärtlichkeit … Lust an Luxus … Verschwendung … Egoismus …
Eine unbekannte Frau salbt Jesus. Sie unterbricht die patriarchalische, orientalische Männerrunde. Und die Männer stellen fest: Diese Frau ist nicht ängstlich, zurückhaltend, sie kniet sich nicht dienend nieder, wie es sich gebührt. Nein, sie ist mutig, selbstbewusst! Und was sie tut, tut sie mit Leidenschaft, Liebe und Hingabe; die Zärtlichkeit sieht man in ihrem Blick, in ihren Bewegungen. Immer wieder streicht sie das teure, edle Nardenöl über Jesu Haare. – „Du salbest mein Haupt mit Öl, … Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang …“, heißt es im 23. Psalm.
Aber halt! Der Wohlgeruch ist verräterisch: Nardenöl? Ein ganzes Alabastergläschen voll für 300 Denare – ein Jahreseinkommen!
Streit entzündet sich unter den anwesenden Gästen: Ist eine derartige Salbung nicht eine unangemessene Verschwendung, ja eine unangemessene Vernichtung von Werten, die man besser den Armen geben sollte? Sie, die Männer, diskutieren nicht über den Umstand, dass eine unbekannte Frau es wagt, in eine Männergesellschaft einzubrechen, um eine derartige Handlung in ganzheitlicher und grenzenloser Zuwendung vorzunehmen. Sie diskutieren über Geld.
Nachdem die Männer eine Weile lang ihren Unmut äußerten, greift Jesus ins Gespräch ein. „Lasst sie doch. Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“ Zu den „guten Werken“ zählt die jüdische Frömmigkeit Almosen und Liebeswerke.
Das Almosen wird durch drei Merkmale vom Liebeswerk unterschieden: Es wird den Armen gegeben, es erstreckt sich nur auf Lebende, und es besteht in der Geldgabe. Das Liebeswerk dagegen umfasst neben den Armen auch die Reichen, neben den Lebenden auch die Toten, und es erfordert neben der Geldaufwendung zugleich den persönlichen Einsatz. Darum steht das Liebeswerk über dem Almosen. – Jesus erklärt also, warum die Frau, die Almosen verhindert, trotzdem gerade recht handelt. Sie gibt nicht nur Geld (oft genug erinnert das ja an eine reine Gewissensberuhigung), nein, diese Frau ist mit ihrer ganzen Überzeugung, mit Leib und Seele, an ihrer Handlung beteiligt.
Kurz darauf wird Jesus verraten und verkauft. Das wird ihn sein Leben kosten. Darum kann Jesus selbst dieses Liebeswerk der unbekannten Frau als seine Totensalbung deuten, zu der die Frauen am Grab keine Zeit mehr finden werden. Einerseits.
Andererseits: Die Beziehung dieser namenlosen Frau zu Jesus ist ein über alle Zeiten hinweg geltendes Beispiel für Hingabe, für ganzheitliche Christusliebe, aus der alle guten Taten, zu denen man in der Lage ist, entspringen und fließen.